Klappenöffnung!

Dafür, dass ich bis 1.00 Uhr morgens an meiner Waage gesessen habe und schier an ihr verzweifelt bin, bin ich um 3.00 Uhr morgens schon wieder auf den Beinen. Hallo!, heute ist mein erster Markttag, eine einmalige Gelegenheit, vor Verzweiflung, Angst und Panik komplett durchzudrehen! Diese einmalige Gelegenheit will ich doch nicht einfach verstreichen lassen, sondern voll und ganz, in aller Ausgiebigkeit und so lange wie möglich "genießen".

 

Fragt nicht nach Sonnenschein!

 

Der Wagen ist ja weitestgehend eingeräumt. Die Bins haben wir gegen die feuchte Winterluft zusätzlich abgehängt, die Gläser sind feuchtsicher, Nüsse, Samen und Saaten und Trockenfrüchte haben wir allerdings aus Angst vor Frost noch einmal herausgenommen. Das muss jetzt alles wieder hinein und an seinen vermeintlich richtigen Platz, Kaffee und Tee muss gekocht werden, meine Listen, die mir eigentlich ein bisschen ein Gefühl der Sicherheit geben sollten (man muss ja nicht alles wissen, wichtig ist, dass man weiß, wo man nachsehen kann), stimmen vorne und hinten nicht, alles ist einfach nur noch Chaos und - der Markt beginnt um 8.00 Uhr - um 7.30 Uhr geht das Licht im Wagen aus und nicht mehr an. Na bravo! Hatte ich mir echt eingebildet, so reibungslos, wie das Projekt unverpackt auf Rädern bisher gelaufen ist, würde es bleiben?

 

Ich versuche wenigstens halbwegs Humor und Nerven zu bewahren. Naja gut, also bitte, ich versuche es doch zumindest. Dass es mir auch gelingt, steht auf einem ganz anderen Haferflockenblatt.

Als ich mich ans Lenkrad setze, bin ich eigentlich fertig mit der Welt. Es ist noch dunkel - na klar, es ist ja auch Winter. Ich habe keine Ahnung, wo ich das Licht anschalten muss. Die Scheibe beschlägt, ich habe keine Ahnung, wie die Heizung funktioniert. Kaum losgefahren, fängt irgendetwas schrill an zu piepen, ich habe keine Ahnung, was und warum.

 

Zumindest schaffe ich es, ohne Unfall und Verluste meinen Wagen auf dem Markt auf dem vorgesehenen Platz zu stellen. Na bitte, geht doch! - Das Licht auch ... wenigstens eine halbe Stunde, dann stehe ich wieder im Dunkeln.

Hier muss ich ganz dringend etwas sagen: Marktbeschicker sind ein Völkchen für sich! Ich werde von allen rundum herzlich begrüßt und bekomme ganz viele liebe Worte, dass ich ganz ruhig sein kann, alles wird gut. Kaum dämmert es um mich, kommen die Jungs von den anderen Ständen angewetzt und versuchen, mein Licht wieder zum Strahlen zu bringen - es ist unglaublich! Hallo!, die haben hier selbst Arbeit!

 

Als Thomas mit einem Stromkabel angerast kommt, wissen wir noch nicht, dass der Anschluss anders ist und wir einen Adapter brauchen. Aber da kommt der Gemüsemann auch schon und hat einen ganzen Verteilerstän der davon. Mir knödelt sich der Hals.

Dann steht tatsächlich meine erste Kundin vor mir. Glaubt mir, hier könnte es gerade - 40 Grad haben, ich würde trotzdem schwitzen wie ein Borstentier. Und so kommt, was kommen muss: Kennt ihr dass, dass es völlig genügt, Angst davor zu haben, dass etwas nicht klappt, um genau das zu erreichen, nämlich dass nichts klappt. Vor meinem Wagen steht eine junge Dame mit Kind, kommt gerade aus dem Kindergarten, wo sie das größere Geschwisterchen abgegeben hat, hat die Tasche voll Gläser und Gefäße ... und im Wagen steht ein altes, frischgebackenes Marktweib und weiß gerade nicht mehr, ob sie Männlein oder Marsmensch ist (auf den Gedanken ein Weiblein zu sein, komme ich gerade gar nicht). - Fragt nicht! Nach über einer halben Stunde haben wir es mit vereinten Kräften und ihrem Taschenrechner doch noch geschafft, die Behälter mit dem gewünschten Inhalt zu befüllen ... und ich bin fertig mit der Welt, habe hochrote Ohren und es ist mir entsetzlich peinlich, dass ich sie so lange aufgehalten habe.

Andere wünschen sich ganz bestimmt ganz viele Kunden, schon gleich am ersten Tag! - Ich gehöre gerade nicht zu ihnen ... was die Menschen aber nicht davon abhält, trotzdem bei mir einkaufen zu wollen. Ich kann es gerade nicht fassen: Natürlich kommen viele und gucken einfach erst einmal. Das ist auch gut und richtig so, das tu ich ja auch. Andere vermissen die Wurst (vor mir stand auf meinem Platz ein Metzgerwagen), eine Dame fragt nach Fertiggerichten, aber ganz viele sind wirklich interessiert, eine Dame fährt schnell nach Hause (obwohl ich ihr sage, dass sie das gar nicht muss, weil ich ja auch ganz viele gebrauchte Gläser habe), holt ein Glas und kauft den ganz dringend benötigten Zimt! Unglaublich!

In den nächsten Stunden wird mir jedenfalls nicht langweilig. Wie die Dinge richtig und am besten stehen, sehe ich erst jetzt, wo die Menschen vor meiner Auslage stehen und gucken. Für mich im Wagen sah das vorher ganz anders aus. Aber hier und heute verbringe ich ganz viel Zeit vor meinem Wagen, spreche mit Menschen und erkläre ihnen meine Idee, möchte gerne dies oder jenes zeigen und merke, dass alles nicht passt, auch wenn das wahrscheinlich nur mir auffällt. Wie gut, dass außer mir niemand weiß, wie es richtig sein sollte!

 

Als im Gemüsestand langsam Kisten gewuchtet werden, gucke ich ein bisschen erschüttert: Echt jetzt? Es ist 13.00 Uhr und der Markt ... vorbei. Hallo! Ich habe doch gerade erst aufgemacht!

 

Dass fünf Stunden auf dem Markt ganz schön anstrengend sein können, merke ich erst, als ich zuhause vorfahre, das Auto abstelle, ins Haus gehe und mit Jacke, Schuhe und Mütze wie ein nasser Sack auf das Sofa falle.

Der erste Markttag ist vollbracht ... und ich lebe noch! ... zumindest äußerlich :D